Pressemitteilung: Podiumsdiskussion zur Grenze zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus hinterlässt mehr Fragen als Antworten

Am Freitag, den 17. Januar 2020, fand die Podiumsdiskussion „Antisemitismus oder berechtigte Kritik an Israel? Wo verläuft die Grenze?“ im Deutschen Theater statt. Anlass war laut Ankündigungstext die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die BDS-Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ im vergangenen Jahr (s. Pressemitteilung von Jachad[efn_note]https://jachadgoettingen.wordpress.com/2019/02/21/79/[/efn_note]).

Bereits die Auswahl des Podiums schien fragwürdig. So wurden mit Rita Süssmuth (CDU), Jürgen Trittin (Grüne) und Konstantin Kuhle (FDP) drei (ehemalige) Bundestagsabgeordnete aus Göttingen auf das Podium geholt. Als einziger Antisemitismus-Experte war Meron Mendel (Anne-Frank-Bildungsstätte Frankfurt a.M.) eingeladen. Zu Beginn äußerte der Moderator Unverständnis darüber, dass sich der Zentralrat der Juden an dieser Veranstaltung nicht beteiligen wollte. Das müsste eigentlich zu denken geben und nicht einfach geflissentlich übergangen werden.

Nur anhand einzelner Anekdoten kam israelbezogener Antisemitismus überhaupt zur Sprache. Eine systematische Betrachtung fehlte. Die unter anderem vom Bündnis Jachad vorgebrachten Einwände wurden undifferenziert als „Antisemitismusvorwurf“ zurückgewiesen. Der Vorwurf lautete freilich nie, dass die Jüdische Stimme antisemitisch sei, sondern dass ihr Engagement dem Antisemitismus Vorschub leistet. Der andere Teil des Abendthemas fand dafür um so intensiver statt: Fortwährend wurde besprochen, was man Israel nun alles zum Vorwurf machen könne und dürfe. Von etwaigen Versäumnissen der Kontrahenten Israels war wenig zu hören.

Marco Peters, Sprecher des Bündnis Jachad, erklärt dazu: „Schon die Auswahl des Podiums zeigt, dass weder eine fachliche Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus in Deutschland, noch eine kritische Diskussion über die Auszeichnung der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost beabsichtigt war. Vielmehr ging es darum, sich zu versichern, dass das Göttinger Bürgertum schon auf der richtigen Seite stehe. Hefets durfte mehrfach behaupten, dass ihre Organisation gar nichts mit BDS zu tun habe. Dabei wird diese als eine von acht Organisationen in Deutschland auf der offiziellen BDS-Homepage geführt.[efn_note]http://bds-kampagne.de/hintergrund/die-internationale-bds-kampagne/[/efn_note] Dass der Zentralrat der Juden einer solchen Veranstaltung lieber fernbleiben wollte, ist verständlich.“

Iris Hefets erklärte mehrfach, dass durch ihr Leben in Israel und ihren Dienst in der israelischen Armee sie selbst Täterin geworden sei. In Deutschland herrsche angeblich ein Tabu, Israel als Täter zu benennen so etwas auszusprechen, darum seien viele Deutsche dankbar, dass sie als israelische Jüdin die Dinge sage, für die man sonst als antisemitisch bezeichnet werde.

Marco Peters: „Hier wird deutlich, was Meron Mendel unter Buhrufen des friedensbewegten Teils des Publikums ansprach: Die Jüdische Stimme wurde als Preisträgerin ausgezeichnet, weil sie eine Entlastungsfunktion übernimmt. Was Antisemiten glauben, nicht sagen zu dürfen, können diese jüdischen Kronzeugen unverhohlen aussprechen. Wenn man ihnen nur nachplappert, was man selber denkt, glaubt man sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus immunisiert. Dabei insinuiert Hefets immer wieder, es gebe eine israelisch-jüdische Meinungshoheit, der es gelinge, den Diskurs in Deutschland zu manipulieren. Das bedient eine Verschwörungstheorie, die eben genau das tut, was Konstantin Kuhle der BDS-Kampagne vorwirft: BDS bereitet den Nährboden für Antisemitismus, und so etwas darf man nicht unterstützen.“

Obwohl sich alle Diskutanten mit Ausnahme von Hefets klar gegen BDS aussprachen und ihr Vorgehen wie zum Beispiel die fehlenden Differenzierung zwischen “israelischem Kernland und den besetzten Gebieten” (Trittin) verurteilten, konnte Hefets sinngemäß ausführen, dass die Zeit der Gespräche vorbei sei und nun Taten gesehen werden wollen.  

Peters abschließend: „Die Podiumsdiskussion verlief wie erwartet schrecklich. Der einzige Experte wurde ausgebuht und musste erdulden, dass Andreas Zumach – Jury-Chef des Göttinger Friedenspreises – immer wieder aus dem Publikum dazwischenredete. Stattdessen bot die Veranstaltung eine hervorragende Bühne für die Positionen Hefets, die sich gar bedankte, so viel Aufmerksamkeit für ihre kleine Organisation zu bekommen. Währenddessen konnten die ‚israelkritischen‘ Gäste beruhigt nach Hause gehen. Der einzige Jude, der ihnen widersprochen hatte, konnte niedergebuht werden. Am Ende bleibt wieder einmal völliges Unverständnis für das Funktionieren des modernen Antisemitismus, aber dafür eine Volksgemeinschaft, die sich heutzutage jüdischer Kronzeugen rühmt.“

יחד Jachad – Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, 22. Januar 2020

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