Offener Brief der Studierendenschaft zur Kursstreichung an der ZESS

Mitten in der Corona-Krise hat das Präsidium der Universität Göttingen beschlossen, 55% der für das Sommersemester bereits erteilten Lehraufträge an der Zentralen Einrichtung für Sprache und Schlüsselqualifikationen (ZESS) kurzfristig wieder zu entziehen. Das bedeutet, dass ein Großteil der Lehre, die es zuvor gab, in diesem Sommersemester nicht angeboten wird: 244 SWS im Bereich Fremdsprachen (-43%) und 84 SWS im Bereich der allgemeinen Schlüsselkompetenzen (-70%) sind einfach so weggefallen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Entscheidung, die aufgrund der Corona-Krise für das aktuelle Semester getroffen wurde; das Präsidium plant die dauerhafte Streichung des entsprechenden Angebots.

Diese Entscheidung hat nichts mit der Qualität der Kurse zu tun und die hohe Nachfrage unterstreicht dies: Zum Sommersemester 2020 lag die Auslastung im Gesamtdurchschnitt bei 198 %. Es geht schlicht darum, Gelder einzusparen – und dies zum Nachteil der Studierenden, deren StudienQualität unter der Entscheidung leidet. Denn durch die Kürzungen gibt es weniger Möglichkeiten, Schlüsselqualifikationen zu erwerben und zusätzlich kann sich die Verknappung des Angebots auf die Studiendauer auswirken, etwa wenn auf einen gewünschten Kursplatz gewartet werden muss.

Die Kürzungen illustrieren die prekären Arbeitsbedingungen der Lehrbeauftragten: Die auf Honorar-Basis angestellten Lehrbeauftragten leisten einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt und Qualität des Studiums, müssen sich aber trotzdem mit niedrigen Honoraren und Unsicherheit zufrieden geben – und in diesem Fall kurzfristig auf Anstellungen im Sommersemester verzichten, für die bereits geplant und vorbereitet wurde.

Das Präsidium verweist darauf, dass diese Entwicklung keine neue Entscheidung sei, sondern dass es sich nur um die Umsetzung eines Beschlusses von 2018 handle. Damals gab es im Anschluss an eine erste Kürzungswelle an der ZESS, bei der ebenfalls zahlreiche Angebote weggefallen sind, große Kritik, weshalb eine weitere Kürzung seinerzeit ausgesetzt worden ist. Im Kontext der kurzfristigen und mangelhaften Kommunikation der jetzigen Kürzungen scheint es, als würde die aktuelle Situation ausgenutzt werden, um die Entscheidung möglichst widerstandslos durchzusetzen. Denn auf Grund der Corona-Krise liegt weniger Aufmerksamkeit auf universitären Themen, Proteste lassen sich schwerer realisieren und alle kontrollierenden Gremien sind Schachmatt-gesetzt und haben keine richtige Möglichkeit, sich zu positionieren, da sie größtenteils gar nicht tagen dürfen. Das Präsidium hat die Kürzungen im Alleingang durchgesetzt, dies nicht bekanntgegeben und gehofft, dass die Angelegenheit unbemerkt bleibt.

Dieser Brief richtet sich gegen die Entscheidung und das Vorgehen des Präsidiums, stellt studentische Forderungen zur Verbesserung der Situation an der ZESS auf und schließt sich solidarisch dem zeitgleich veröffentlichten offenen Brief der Lehrbeauftragten an!

 

Kritik: Reduzierung des Angebots an Schlüsselkompetenzen

Verkleinerung des Sprachangebots

Die Universität möchte in ihrer Internationalisierungsstrategie “[…] Studierende auf ihre zukünftigen Aufgaben in einer globalisierten Welt [vorbereiten].” Sie verweist auf ihr traditionell internationales Profil.
Eine solche Positionierung beißt sich sowohl mit der Streichung von Sprachniveaus einzelner Sprachen als auch dem Wegfall von Kursen ganzer Fremdsprachen. Mit den Änderungen sind seit 2018 die gesamten Angebote zu Arabisch, Chinesisch, Norwegisch und Finnisch, sowie die UNIcert II-Niveaustufen zu Portugiesisch und Russisch weggefallen und das Angebot zu anderen Sprachen massiv gekürzt worden, sodass ein Platz in den traditionell überbuchten Kursen jetzt für die Studierenden noch mehr zum Glücksgriff wird.

Durch den Wegfall von Kursen wird die Planung des Studiums und eines möglichen Auslandaufenthaltes insgesamt erschwert: Die Studierenden können nicht damit planen, dass sie in ihrem nächsten Semester einen Platz in einem für sie wichtigen Kurs bekommen. Es darf nicht sein, dass für Kurse, die seit mehreren Semestern anhaltend überbucht sind oder bei denen absehbar ist, dass es viele Interessierte gibt, keine weiteren Kapazitäten geschaffen werden! Dazu kommt, dass zahlreiche Anforderungen an Sprachkenntnisse und die Nachweise von Sprachniveaus an die Studierenden herangetragen werden. Das Erreichen dieser Anforderungen darf nicht daran scheitern, dass zu wenig Kurse und Plätze zur Verfügung stehen!

Deutlich weniger allgemeine Schlüsselkompetenz-Angebote

Auf ihrer Website wirbt die Universität mit einem vielfältigen Angebot an Schlüsselkompetenzen verschiedenster Art. Tatsache ist jedoch, dass dieser Bereich neben den ebenfalls betroffenen Sprachen besonders starke Streichungen erfahren musste. Es ist fraglich ob Studierende angesichts des verbleibenden Angebots und weiterer Streichungen, die eine Deckelung des Budgets, verbunden mit normalen Kostensteigerungen über die Zeit, mit sich bringen könnte, von der ZESS noch in dieser Weise profitieren können.
Es sind in allen Studiengängen 10% des Studiums für Schlüsselkompetenzen vorgesehen. Das bedeutet, dass Studierende diese 10% an Schlüsselkompetenzen nachweisen müssen – dies wird vor allem dann problematisch, wenn auf Grund der hohen Anfrage dringend benötigte Credits nicht erworben werden können.

In Anbetracht des sinkenden Angebots und begrenzter Plätze, gerade bei traditionell überbuchten Angeboten, wie etwa in den Bereichen Führungs- und Sozialkompetenzen, fällt es Studierenden zudem zunehmend schwer sich individuell für Angebote zu entscheiden, die vielleicht Perspektivenerweiternd abseits ihrer Fächer liegen, auch weil unklar ist, ob beispielsweise angefangene Zertifikate in kommenden Semestern noch beendet werden können.

Anders als die Angebote der Fakultäten, die oftmals Fach-intern sind, tragen die Angebote der ZESS zur Diversifizierung der Lehre bei. Mit gerade dieser Diversität für die individuelle Entwicklung, der Gestaltung von Freiräumen und dem ‚Querdenken‘ wirbt aber die Universität!

Studierende dürfen durch fehlende Kurse weder an einem Auslandsaufenthalt noch an einem Blick über den Tellerrand des eigenen Fachs hinaus oder individueller Kompetenz-Erweiterung gehindert werden. Nur durch ein breites Angebot an Schlüsselkompetenzen ist die Möglichkeit eines diversen und selbstbestimmten Studiums sowie ein guter Start ins Berufsleben gegeben.

 

Unsere Forderungen 

1. Lehraufträge neu erteilen, den Status Quo beim Kursangebot wiederherstellen!

Das Kursangebot der ZESS muss so schnell wie möglich wieder auf den Stand vor den aktuellen Streichungen zurückgesetzt werden. Wo dies möglich ist, sollte dies bereits während des laufenden Semesters geschehen. Ansonsten ist die Aufstockung der Kurse mit Beginn der vorlesungsfreien Zeit anzugehen. Spätestens im WiSe 20/21 sollte wieder der „Status Quo“ vor den Kürzungen von 2018 erreicht sein. Darüber hinaus braucht es Raum um über eine bedarfsorientierte Erweiterung des Angebots zu sprechen, vor allem im Hinblick auf die gewünschte fortschreitende Internationalisierung. So bedarf es z.B. Quoten zur Überbuchung von Kursen, ab denen im folgenden Semester zusätzliche Mittel und damit Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden müssen.

2. Erarbeitung eines nachhaltigen Finanzierungskonzepts

Es muss ein langfristiges und von allen Beteiligten getragenes Finanzierungskonzept erarbeitet werden. Dieses muss neben dem Status Quo auch potentiell notwendige Erweiterungen abdecken. Insbesondere das Verhältnis von Fakultäten und ZESS muss geklärt werden: Schaffen die Fakultäten erhöhten Bedarf durch die Einbindung von Sprachen oder Schlüsselkompetenzen in ein Curriculum, so sollte die ZESS hierfür finanziell kompensiert werden, um das Angebot sicherzustellen ohne an anderer Stelle einsparen zu müssen. Ein Finanzierungskonzept muss neben einem solchen gerechten Finanzierungsschlüssel auch Planungssicherheit für die Lehrbeauftragten beinhalten!

3. Die Stellung der ZESS muss gestärkt werden.

Die ZESS sollte selbstverwaltet sein und anderen Akteur*innen gleichgestellt werden. Damit würde ihr sowohl eine feste Finanzierung zuteil werden als auch ein Mitspracherecht. Damit wäre sie nicht mehr dem Universitätspräsidium hörig, sondern autonom. Vor Allem geht es aber um Respekt und Gleichbehandlung in der Auseinandersetzung miteinander.

4. Deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen für Lehrbeauftragte

Die Beschäftigungsverhältnisse an der ZESS müssen massiv verbessert werden. Das Honorar pro Unterrichtseinheit der Lehrbeauftragten muss an die Gehälter der Festangestellten angepasst werden. Zur dauerhaften Sicherung der Lehre gilt es, mehr unbefristete Positionen zu schaffen. Zusätzlich müssen Tariferhöhungen und ähnliche Kostensteigerungen flexibel im zur Verfügung gestellten Budget berücksichtigt werden, sodass Mitarbeiter*innen und Studierende nicht gegeneinander ausgespielt werden.

5. Offen und transparent diskutieren und handeln!

Wichtige Entscheidungen, wie die über die Zukunft der Zess, müssen demokratisch und unter Beteiligung aller Betroffenen getroffen werden. Entscheidungen müssen von Senat und ZESS-Beirat kritisch reflektiert werden, wobei auch von den Verantwortlichen Zuarbeit zu erwarten ist. Finanzielle Entscheidungen bzgl. der ZESS sollen in Zukunft nicht mehr so getroffen werden können, wie es der Fall war. Künftig braucht es mehr Transparenz. Die Verhandlungen zu den Punkten sollten an einem runden Tisch mit Präsidium, Mitarbeiter*innen, Studierenden, der Leitungsebene der ZESS und den Studiendekan*innen geführt werden.

 

Wir als Studierende fordern die Politik und Universität auf, ihrem bekundeten Selbstverständnis zu folgen, eine diverse und faire Lehre zu garantieren und allen Lehrkräften für ihren Beitrag im Lehrbetrieb angemessene Bezahlung und berechenbare Beschäftigungsbedingungen zu garantieren. Konkret auf die gegenwärtige Streichung bezogen, fordern wir die Universität auf, ihre Entscheidung transparent zu erklären und nach Alternativen zu suchen, die das ursprüngliche Schlüsselkompetenz-Angebot wieder ermöglichen.

 

Die Unterstützer*innen:

AStA der Universität Göttingen,
Lehrbeauftragteninitiative,
Uni Göttingen Unbefristet,
GEW-Hochschulgruppe,
Basisgruppenbündnis Göttingen,
Grüne Hochschulgruppe Göttingen,
Juso Hochschulgruppe Göttingen,
ALL – Alternative Linke Liste Göttingen,
ADF – Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Fachschaftsmitglieder,
Anika Bittner (studentische Senatorin der ADF),
Alexandra Werner (studentische Senatorin der Rot-Grünen Liste),
Die Fachschaftsräte Physik, SoWi, WiWi und Jura