Mit Befremden haben wir, die UnterzeichnerInnen dieses Schreibens, zur Kenntnis genommen, dass neben Hochkarätern wie Gerhard Schröder oder Jimi Blue Ochsenknecht auch Laurie Penny und Jakob Augstein im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes 2016 auftreten werden. Letzterer sprach bereits öfters im Literarischen Zentrum, was schon 2013 eine Göttinger Gruppe zu Protesten vor Ort veranlasste. Immer wieder werden beide ausfällig, geht es darum, Israel zu »kritisieren« mit stereotypisierenden Behauptungen. Das Simon Wiesenthal Center setzte Augsteins Statements auf Platz 9 der »2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs«, im Bericht des Jahres 2015 taucht er außer Konkurrenz auf einem »Ehrenplatz« auf. Das SWC benennt Täter-Opfer-Umkehr als wiederkehrendes Merkmal seiner Beiträge zur sogenannten »Nahostdebatte«, so titulierte Augstein den von Israel 2005 geräumten Gazastreifen als »Lager«, in dem Israel seine eigenen Gegner ausbrüte. Während Israel gezwungen ist, mit der Hamas zu verhandeln, deren Ziel die Tötung aller Juden ist, setzt Augstein die Terrororganisation mit ihren Opfern gleich: »Diese Leute sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihre islamistischen Gegner. Sie folgen dem Gesetz der Rache«, schrieb er über streng orthodoxe Juden und Jüdinnen. Darüber hinaus raunte er, die US-Regierung agiere auf Geheiß jüdischer Lobbygruppen und Netanjahus Regierung führe »die ganze Welt am Gängelband eines anschwellenden Kriegsgesangs.« Die als »wichtigste Stimme des jungen Feminismus« gefeierte Autorin Laurie Penny gibt nicht minder krude Thesen von sich. Sie unterstützt die Kampagne BDS, die die Schuld am Scheitern aller Friedenspläne einseitig bei Israel sucht. Die doppelten Standards dieser Kampagne sind dermaßen eindeutig, dass sich selbst die Autonomiebehörde Palästinas von Boykottaufrufen förmlich distanziert. Israel wird als »Apartheidstaat« denunziert, was einer Verharmlosung des rassistischen Südafrikas vor Mandela gleichkommt. Schwule Palästinenser fliehen häufig nach Israel, da sie mit Tod und Folter rechnen müssen. Penny stellt unterdessen ausgerechnet den einzigen Staat der Region in Frage, in dem Homosexualität nicht unter Strafe steht, während sie die real existierende Geschlechterseparation, die mörderische Homophobie oder die Jagd auf AtheistInnen in Israels Nachbarstaaten exkulpiert. Die banale Tatsache, dass in der gesamten Region Jüdinnen und Juden nur in diesem einen Staat relativ unbehelligt leben können, übergeht Penny geflissentlich. Den perspektivischen Zufluchtsort für die letzten 40.000 in der islamischen Welt verbliebenen jüdischen Menschen, die nicht durch anhaltende antijüdische Pogrome vertrieben wurden, will sie aufgelöst sehen. Weist man darauf hin, dass eine prominente Person etwas Antisemitisches von sich gegeben hat, sorgt man damit für große Empörung – doch freilich nicht etwa, weil sich jemand daran versucht, die Parole »kauft nicht bei Juden« zu modernisieren. Jene Empörung kommt nicht zustande, weil die Kritik inhaltlich ernst genommen würde, sondern weil die Angesprochenen Antisemitismus nie in der Mitte der Gesellschaft verorten würden, aus der er sich speist. So immunisierten sich auch Augstein und Penny gegen Kritik, die Penny mit dem Hinweis auf eigene jüdische Vorfahren abtut, als ob der Stammbaum oder »Sprechort« einer Person etwas am Wahrheitsgehalt einer Aussage ändere. Auch warfen beide in der Vergangenheit ihren Kritikern pauschal vor, dass sie jegliche Kritik am Staate Israel »reflexhaft« als antisemitisch abtäten. Dieses Strohmannargument wird von weniger um ihr Image bemühten IsraelkritikerInnen auch als »Auschwitzkeule« bezeichnet, verbunden mit einem Hinweis auf die angeblich unterdrückte Meinungsfreiheit. In Deutschland wird Israel öffentlich so gerne kritisiert wie kein anderer Staat. Das verrät schon die Tatsache, dass »Israelkritik« ein etablierter Begriff ist, an dem sich kaum jemand stört. Kein Mensch käme hingegen auf die Idee, seinen Ressentiments gegen andere Staaten Namen wie »Niederlandekritik« oder »Kosovokritik« zu geben. Augsteins wiederholte Behauptung, man »dürfe« Israel nicht offen kritisieren, ist selbstverständlich unbelegbar. In den Bäuchen seines Publikums ist sie aber eine verbreitete gefühlte Wahrheit. Wenn ein Rassist nach einem Verbalausfall sein übliches »man wird ja wohl noch sagen dürfen« hinterher schiebt, würde die überwiegende Mehrheit des hiesigen Publikums ihn des Raumes verweisen. Geht es aber um »den Zionismus« und noch so abwegige Weltverschwörungstheorien, scheint gerade das linksliberale Göttinger Bürgertum Applaus spenden zu wollen.
Wir fordern den Literaturherbst deswegen auf, die Veranstaltungen abzusagen und Penny und Augstein auszuladen. Das Literarische Zentrum fordern wir auf, nicht erneut antisemitischen und antiisraelischen Ausfällen eine Bühne zu bieten. Eine Förderung durch das studentische Kulturticket scheint vor diesem Hintergrund überaus fragwürdig.
Der Brief kann über eine kurze Mail an kontakt@fsr-sowi.de mitgezeichnet werden. Laufend aktualisierte Versionen sind auf fsr-sowi.de, associationprogres.wordpress.com und fb.com/DIGHochschulgruppeGoettingen zu finden.
ErstunterzeichnerInnen:
- Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Göttingen
- Fachschaftsrat der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen
- Association Progrès
- Hochschulgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Göttingen
UnterstützerInnen:
- a:ka Göttingen
- Olafa
- Bündnis gegen Antisemitismus Kassel
- Initiative gegen jeden Antisemitismus
- Gunia, Susanne
- Knust , Bettina
- Wolff, Florian (Student Uni Oldenburg)