Solidarisch leben statt elitär rumfechten! Über das Göttinger Verbindungswesen.

Regelmäßig zu Beginn des Semesters ist der Wohnraum in Göttingen knapp. Und schon finden sich bei WG-gesucht, Facebook und wo es sonst noch Wohnungen zu finden gibt, Anzeigen wie diese: „Balkonzimmer in Villa mit großem Garten für 120 Euro“.

So oder ähnlich bewerben Studentenverbindungen ihre freien Zimmer. Dabei wird anfangs geflissentlich verschwiegen, dass es sich ganz und gar nicht um eine gewöhnliche Wohngemeinschaft handelt. Zunächst einmal sind Verbindungen zum allergrößten Teil Männerbünde. Das heißt, sie nehmen nur Männer auf und schließen somit Frauen aktiv aus. Wer einer Verbindung beitritt, verpflichtet sich dem Lebensbundprinzip, d.h. lebenslange Treue und Loyalität der Verbindung und ihren Mitgliedern gegenüber.

Viele Verbindungen zeichnen sich dabei durch ein regressives Bild von Gesellschaft und Individuum aus. Denn der Einzelne zählt nichts, hat sich der Gemeinschaft unterzuordnen und auf die Befehle der Älteren zu hören. Wer in einer Verbindung anfängt, ist zunächst einmal Anwärter, die unterste Stufe der Hierarchie. Einmal Mitglied geworden wird man „Fux“ genannt. Auch diese sind in der Hierarchie noch sehr weit unten. Die sog. „Fux-Majore“ sind für den Drill dieser Neulinge verantwortlich. So gibt es meistens demütigende Rituale, bei denen einzelne Mitglieder gezwungen werden , bis zum Erbrechen Bier und anderen Alkohol zu trinken. Dies geschieht im Rahmen sog. „Kneipen“, wie die Verbindungsstudenten ihre Saufgelage im eigenen Keller nennen. Die eigens zum Erbrechen errichtete Vorrichtung nennt sich „Pabst“, weshalb das ritualisierte Erbrechen auch „Pabsten“ genannt wird.

Ein weiterer Versuch, sich gegenseitig die vermeintliche Männlichkeit zu beweisen, ist das Fechten der sog. „Mensur“. Dabei geht es darum mit scharfen Degen gegeneinander zu fechten und das Gegenüber am Kopf, bevorzugt im Gesicht, zu verletzen. Ergebnis dieses unsinnigen Abreagierens eigener Gewaltfantasien ist das Zurückbleiben von Narben. Bei dem Schlag auf den Kopf mit der scharfen Klinge soll der Student nicht zurückweichen, kein Anzeichen von Schwäche oder Angst zeigen, sich eben einem überholten Männlichkeitsideal entsprechend verhalten und den Kopf für seine Verbindung hinhalten, um so die Anerkennung der Gruppe zu bekommen. Zuckt er zusammen oder weicht aus, muss er eine Reinigungsmensur schlagen, um diesen Fehler wieder gut zu machen.

Doch wird auch noch eine weitere Funktion damit erfüllt. Der Bursche – in der Gesellschaft als konservativ anerkannt – lebt hier im Kreise gleichgesinnter Männer das aus, was die Gesellschaft mittlerweile äußerlich schon längst als archaische Männlichkeit ablehnt. Die Verbindung wird dadurch von ihren Mitgliedern auch zu einem Ort stilisiert, an dem „der Mann noch ein Mann sein kann“. Damit verbunden ist die gänzliche Unterdrückung jedweder Homoerotik, die man in einem reinen Männerbund, der sich auch noch auf so intime Weise nahekommt, erwarten könnte. Denn Homosexualität bei Männern wird in gewisser Weise mit Weiblichkeit gleichgesetzt und muss dementsprechend, wie diese auch, abgewehrt werden. Denn an einem Ort archaischer Männlichkeit kann für Weiblichkeit kein Raum sein. Die Burschen sollen in Brüderlichkeit zusammenstehen, das Führen einer Beziehung zweier Mitglieder würde demnach nicht nur dem Weltbild, sondern auch dem gesamten Sinn und Zweck einer Verbindung entgegenstehen. Deshalb sind sexistische, frauenfeindliche und homophobe Ansichten in Studentenverbindungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Ebenfalls weitverbreitet im Kreise der Korporierten ist ein dezidiert nationalistisches Gedankengut, was sich zu weiten Teilen aus ihrer Tradition, auf die sie meist großen Wert legen, speist. Studentenverbindungen entstanden, während sich die bürgerliche Gesellschaft im beginnenden 19. Jh. herausbildete. Sie haben einen starken Bezug zur Nation, der in Deutschland überdies nicht allein über die Staatsbürgerschaft, sondern vor allem über die Blutslinie hergeleitet wird. Nur wer „deutscher Abstammung“ ist, kann auch „richtiger Deutscher“ sein. Im Taumel nationaler Hochstimmung nach dem Sieg über Napoleon gründet sich die Deutsche Burschenschaft (DB), ein national-konservativer Dachverband, der bis heute besteht. Diese nationalistische Tradition hat sich ein Großteil der Verbindungen bis heute bewahrt. Nicht selten wird in großdeutschen Phantasien geträumt, die sich ein Deutschland weit über die aktuellen Grenzen hinaus wünschen. Da scheint es wenig verwunderlich, dass gerade die besonders konservativen Burschenschaften häufig auch gute Kontakte in das extrem rechte Lager pflegen. So lud die Göttinger Burschenschaft Hannovera bereits NPD Kader zu Vorträgen ein. Und Mitglieder der Hannovera und der Landsmannschaft Verdensia sind bestens in der Szene der sog. „Identitären“ vernetzt, ein rechtsextremes Netzwerk, das der Neuen Rechten zugeordnet werden kann und versucht, über einen äußerlich eher konservativen Anstrich rechtsextremes Gedankengut in die Gesellschaft zu tragen. Die Hannovera und die ebenfalls in Göttingen beheimatete Holzminda waren auch lange Jahre in der Deutschen Burschenschaft organisiert, die vor ein paar Jahren ins Zentrum der medialen Berichterstattung rückte, da sie für Mitglieder eine Art „Ariernachweis“ forderte. Deutscher ist eben für die DB nach wie vor nur der, der auch „deutschen Blutes“ ist. Diese Ansicht war schon im 19. Jh. antiliberal, aber heutzutage scheint sie völlig aus der Zeit gefallen. Dieses Beispiel verdeutlicht, was Studentenverbindungen eigentlich sind: anachronistische Gebilde, die ihre Zeit überlebt haben.

Besonders auffällig scheint auch die zunehmende Gewaltbereitschaft vieler Verbindungstudenten. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der rassistische Hetze, Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte und antisemitische Ausfälle in aller Öffentlichkeit geschehen können und sich eine deutsche Normalität wieder herauszubilden scheint, in der Rassismus, Sexismus, und Antisemitismus auch wieder öffentlich verteidigt werden können, scheinen etliche Korporierte Rückendeckung für ihr Gedankengut zu verspüren. So wurde der Fachschaftsraum SoWi mehrfach von Verbindern angegriffen, die dabei Plakate abrissen, Menschen bedrohten und abfotografierten und sich in haarsträubendem Geschichtsrevisionismus übten. Und auch bundesweit ist eine Verquickung zwischen national-konservativen Verbindungen und der AfD, ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ und der Neuen Rechten zu beobachten.

Daher: Augen auf bei der Zimmersuche! Wendet euch an das Studentenwerk bezüglich günstiger Wohnheimplätze und schaut regelmäßig an den Schwarzen Brettern vorbei. Ein kleines, gemütliches WG-Zimmer mit netten Mitbewohner*innen für längere Zeit ist eben doch besser als eine Villa mit rechtem Anstrich, überholten Idealen und dem Zwang zur aktiven Teilnahme an antiquierten (Trink)ritualen.

Weiterführende Informationen zu dem Thema findet ihr in dem Text über den Männerbund und dem Reader zu Studentenverbindungen gestern und heute, die ihr beide auf unserer Homepage findet.